Lernende ohne Erstabschluss – Bildungsverläufe 2012/13–2020/21

Oft werden mehrere Versuche unternommen, um einen Erstabschluss zu erlangen

Ein erster Abschluss auf Sekundarstufe II ist eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einstieg in die Arbeitswelt. Erwerben junge Erwachsene keinen nachobligatorischen Abschluss, sind ihre beruflichen Chancen geringer und der Zugang zu vielen weiterführenden Ausbildungen bleibt ihnen verwehrt. Im Kanton Luzern betrug der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ohne nachobligatorische Ausbildung im Jahr 2021 rund 5 Prozent, vgl. Sozialindikator Frühe Schulabgänger/innen. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK), Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und der Bund hatten sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der 25-Jährigen, die keinen Bildungsabschluss auf Sekundarstufe II erworben haben, bis 2020 auf unter 5 Prozent zu senken.

Von den rund 4'000 Luzerner Jugendlichen, die im Schuljahr 2012/2013 in die Sekundarstufe I eintraten, hatten rund 230 bis im Schuljahr 2020/2021 (noch) keinen nachobligatorischen Abschluss erlangt. Wie gestalteten sich die Bildungswege dieser Jugendlichen? Wie verlief der Übertritt in eine nachobligatorische Ausbildung? An welcher Stelle im Bildungsverlauf wurde das Bildungssystem am häufigsten verlassen? Und welche soziodemografischen Merkmale hängen mit den Bildungsverläufen ohne Erstabschluss zusammen?

Das Programm «Längsschnittanalysen im Bildungsbereich» des Bundesamts für Statistik ermöglicht die Verknüpfung von individuellen Bildungsdaten. Dadurch können Bildungsverläufe über einen längeren Zeitraum hinweg detailliert analysiert werden. Analysiert werden folgende Ausbildungstypen: eidgenössisches Berufsattest (EBA); 3-jähriges eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ); 4-jähriges EFZ; Fachmittelschulausweis; gymnasiale Maturität. Diese Ausbildungen führen zu einem Erstabschluss und qualifizieren für den Berufseinstieg oder eine weiterführende Ausbildung auf der Sekundarstufe II oder der Tertiärstufe.

Längsschnittanalysen im Bildungsbereich (LABB)

Das Programm «Längsschnittanalysen im Bildungsbereich» (LABB) des Bundesamts für Statistik ermöglicht die Verknüpfung von individuellen Bildungsdaten. So können Bildungswege über die Zeit nachgezeichnet und unter Einbezug anderer Datenquellen analysiert werden. Die Längsschnittanalysen ergeben sich aus der Verknüpfung, der Harmonisierung und einer Längsschnittbearbeitung von Datenquellen zum Bildungssystem (Statistik der Lernenden SdL, Statistiken der Abschlüsse SBA, Statistik der beruflichen Grundbildung SBG, schweizerisches Hochschulinformationssystem SHIS), sowie von der Strukturerhebung (SE), von der Statistik der Bevölkerung und der Haushalte (STATPOP), von Daten der individuellen Konten der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) und des vom SECO verwalteten Informationssystems für die Arbeitsvermittlung und die Arbeitsmarktstatistik (AVAM).

Die LABB-Daten bilden die Basis für die vorliegenden Analysen. Sie erlauben derzeit die Begleitung einer Kohorte über die Sekundarstufe I sowie sechs nachobligatorische Schuljahre. Teil dieser Kohorte sind alle Personen, die per Schuljahr 2012/2013 von der Primarschule in eine Ausbildung auf Sekundarstufe I (Sekundarschule oder Gymnasium) im Kanton Luzern gewechselt haben.

Mehrheit der Lernenden ohne Erstabschluss hat keinen linearen Bildungsverlauf

3'769 der 4'001 Lernenden, die im Schuljahr 2012/2013 in die Sekundarstufe I eingetreten waren, hatten bis im Schuljahr 2020/2021 eine der oben genannten Ausbildungen abgeschlossen (94%). Von den 232 Lernenden (6%), die am Ende des betrachteten Zeitraums noch keinen Erstabschluss erreicht hatten, befand sich zu diesem Zeitpunkt ein Drittel noch in Ausbildung. Die übrigen Personen waren nicht mehr im Bildungssystem erfasst.

Über alle Jugendlichen hinweg betrachtet, wiesen fast zwei Drittel (62%) einen linearen Bildungsverlauf auf. Das heisst, diese Lernenden traten jedes Jahr in das nächsthöhere Ausbildungsjahr ein. Nach der obligatorischen Schulzeit wechselten sie direkt in eine Ausbildung auf Sekundarstufe II und durchliefen diese ohne Verzögerung oder Änderungen von bereits getroffenen Ausbildungsentscheidungen.

Rund ein Drittel der Bildungswege verlief nicht linear und wies spezielle Ereignisse auf. Als spezielle Ereignisse gelten zum Beispiel ein Zwischenjahr, der Besuch eines Brückenangebots, eine Repetition und/oder eine Umorientierung (Wechsel in einen anderen Ausbildungstyp). Solche Ereignisse verlängern die Bildungswege häufig. Gleichzeitig sind sie wichtig, um den Verbleib oder den Wiedereinstieg ins Bildungssystem zu gewährleisten.

Bei Jugendlichen, die bis im Schuljahr 2020/21 keinen Erstabschluss erlangten, kamen solche speziellen Ereignisse überdurchschnittlich oft vor: In drei von vier Fällen zeigte sich mindestens ein spezielles Ereignis. Die Bildungsverläufe von Lernenden ohne Erstabschluss weisen zudem oft nicht eines, sondern mehrere solche Ereignisse auf: Bei gut einem Drittel waren es zwei, bei einem Zehntel drei unterschiedliche Ereignisse.

Der Bildungsverlauf von Lernenden ohne Erstabschluss weist im Vergleich mit allen Lernenden überdurchschnittlich häufig einen oder mehrere Unterbrüche auf (47% vs. 14%). Rund ein Viertel der Jugendlichen ohne Erstabschluss hatte direkt im Anschluss an die obligatorische Schulzeit oder nach einem Brückenangebot für mindestens ein Jahr keine Ausbildung besucht. Ebenfalls ein Viertel der Lernenden ohne Erstabschluss unterbrach den Bildungsweg auf der Sekundarstufe II. Lernende ohne Erstabschluss besuchten auch überdurchschnittlich häufig Brückenangebote (22% vs. 9%).

Gut ein Drittel der Bildungsverläufe von Lernenden ohne Erstabschluss weist mindestens eine Repetition auf. Dabei wurde deutlich häufiger auf Sekundarstufe II als auf Sekundarstufe I repetiert (30% vs. 9%). Rund ein Viertel der Jugendlichen ohne Erstabschluss hatte sich auf dem Bildungsweg mindestens einmal neu orientiert.

Umorientierung

In der vorliegenden Analyse werden Umorientierungen als Wechsel zwischen den verschiedenen Abschlusstypen verstanden. Die möglichen Erstabschlüsse auf Sekundarstufe II sind das eidgenössische Berufsattest (EBA), das 3-jährige eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ), das 4-jährige eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ), der Fachmittelschulausweis sowie die gymnasiale Maturität.

Wechsel innerhalb des gleichen Ausbildungstyps können mit grossen Veränderungen für den einzelnen Lernenden verbunden sein. Aus methodischen Gründen können sie hier aber nicht als Umorientierungen ausgewiesen werden. So gelten Wechsel zwischen verschiedenen beruflichen Grundbildungen des gleichen Ausbildungstyps nicht als Umorientierung. Auch die Auflösung eines bestehenden Lehrvertrags und der Beginn einer Lehre in einem neuen Betrieb wird nicht als Umorientierung erfasst, wenn der Ausbildungstyp nicht gewechselt wird. Bricht eine Person beispielsweise eine begonnene 3-jährige Lehre nach dem ersten Ausbildungsjahr ab und startet anschliessend in das erste Ausbildungsjahr einer anderen 3-jährigen Lehre, wird dies als Repetition ausgewiesen.

Bei knapp einem Viertel der Jugendlichen ohne Erstabschluss kam im Bildungsverlauf keines der aufgezählten Ereignisse vor. Das bedeutet, dass diese Jugendlichen das Bildungssystem entweder direkt nach der obligatorischen Schulzeit verliessen oder nahtlos in eine Ausbildung auf Sekundarstufe II eintraten, diese jedoch nicht abschlossen.

Lernende ohne Erstabschluss treten seltener direkt auf die Sekundarstufe II über

Lernende ohne Erstabschluss haben im Vergleich zu allen Lernenden häufiger ein Schuljahr der Sekundarstufe I repetiert (9% vs. 6%). Auch Umorientierungen zwischen dem Langzeitgymnasium und der Sekundarschule kamen bei ihnen etwas häufiger vor (3% vs. 2%).

Rund die Hälfte der Jugendlichen ohne Erstabschluss begann direkt im Anschluss an die obligatorische Schulzeit mit einer Ausbildung auf Sekundarstufe II. Knapp ein Drittel trat nach einem Brückenangebot und/oder einem Unterbruch in eine nachobligatorische Ausbildung ein. Die übrigen Jugendlichen ohne Erstabschluss haben entweder nach einem Brückenangebot keine Anschlusslösung gefunden (6%) oder haben das Bildungssystem direkt nach der obligatorischen Schulzeit verlassen (16%).

Von den Lernenden ohne Erstabschluss, die eine nachobligatorische Ausbildung gestartet haben, wiesen vier von zehn eine Verzögerung beim Übertritt auf. Werden alle Lernenden betrachtet, die eine nachobligatorische Ausbildung begonnen haben, sind nur zwei von zehn Personen verzögert übergetreten.

Austritte aus dem Bildungssystem erfolgen häufig nach dem zweiten Ausbildungsjahr

Nicht nur beim Übertritt auf die Sekundarstufe II, sondern auch auf der Sekundarstufe II selber weisen die Bildungsverläufe von Lernenden ohne Erstabschluss oft nicht lineare Wege auf. Wie auf der untenstehenden Grafik ersichtlich, haben viele Lernende ihre Ausbildung nicht direkt abgebrochen, sondern Ausbildungsjahre repetiert, sich neu orientiert oder sind nach einem Unterbruch wieder in das Bildungssystem eingestiegen. Viele junge Erwachsene ohne Erstabschluss unternahmen also mehrere Versuche, um einen Erstabschluss zu erlangen.

39 Prozent der Jugendlichen ohne Erstabschluss haben mindestens ein Ausbildungsjahr auf der Sekundarstufe II repetiert. Zu diesen Repetitionen zählen auch Wiederholungen von Ausbildungsjahren im Zusammenhang mit einem Wechsel der Ausbildung innerhalb des gleichen Ausbildungstyps. Wechseln die Jugendlichen hingegen den Ausbildungstyp, zum Beispiel von einer 4-jährigen zu einer 3-jährigen Lehre, wird dies in der Statistik als Umorientierung erfasst. 30 Prozent der Lernenden orientierten sich auf Sekundarstufe II mindestens einmal neu. Auch zwischenzeitliche Austritte aus dem Bildungssystem kommen auf Sekundarstufe II häufig vor: 20 Prozent der Jugendlichen haben ihre Ausbildung für ein Jahr unterbrochen, weitere 12 Prozent haben mehrmals oder für länger als ein Jahr unterbrochen.

Von den Lernenden ohne Erstabschluss, befanden sich 58 Prozent am Analyseende (Schuljahr 2020/2021) nicht mehr in Ausbildung. Am häufigsten waren Austritte nach dem zweiten nachobligatorischen Ausbildungsjahr (16%). Nach dem ersten und dritten nachobligatorischen Jahr waren es je 13 Prozent, nach dem vierten und fünften Jahr etwas weniger (11% bzw. 5%).

Ausländische Lernende bleiben häufiger ohne ersten Abschluss

Der Anteil Jugendlicher ohne Erstabschluss unterscheidet sich kaum zwischen den Geschlechtern (Frauen: 5%; Männer: 6%). Dagegen gibt es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Nationalität: Während 5 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer keinen Erstabschluss erlangten, war dieser Anteil bei den Personen mit einer anderen Nationalität deutlich höher (11%). 9 Prozent der ausländischen Jugendlichen hatten das Bildungssystem verlassen, 2 Prozent befanden sich am Ende des betrachteten Zeitraums weiterhin in Ausbildung. Werden nur die ausländischen Personen berücksichtigt, die nicht in der Schweiz geboren wurden, liegt der Anteil ohne Erstabschluss nochmals um 3 Prozentpunkte höher (14%).

Die Erstabschlussquote variiert auch nach Analyseregion: Der Anteil der Lernenden ohne Erstabschluss liegt zwischen 9 Prozent im Agglomerationskern und je rund 3 Prozent in den Regionen Entlebuch, Seetal und Sursee/Sempachersee. Diese Unterschiede dürften einerseits mit der Sozialstruktur, andererseits mit regionalen Unterschieden im Bildungsangebot und bei den Bildungspräferenzen zu tun haben.

Lernende in Ausbildungen mit tieferen schulischen Anforderungsniveaus häufiger ohne Erstabschluss

Jugendliche, die am Ende ihrer obligatorischen Schulzeit ein tieferes Anforderungsniveau besucht hatten, haben seltener eine erste Ausbildung abgeschlossen als jene in höheren Anforderungsniveaus. So erlangten 13 Prozent der Lernenden, die eine Sekundarschule im Niveau C/D besucht hatten, im betrachteten Zeitraum keinen Erstabschluss. Bei den Lernende, die das Niveau A/B besucht hatten, betrug dieser Anteil lediglich 3 Prozent.

Diese Unterschiede spiegeln sich entsprechend in den Eintrittsausbildungen wider: Treten die Jugendlichen in Ausbildungen mit tieferen schulischen Anforderungen ein, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie bis Analyseende (noch) keinen Erstabschluss erlangt haben. So hatten von den Lernenden, die in eine 2-jährige EBA-Ausbildung eingetreten sind, 11 Prozent im betrachteten Zeitraum keine Ausbildung abgeschlossen. Dieser Anteil liegt deutlich über den Werten der Lernenden, die mit einer 3- oder 4-jährigen EFZ-Ausbildung gestartet sind (5% resp. 4%). Sind Lernende in ein Kurzzeitgymnasium eingetreten, blieben sie häufiger ohne Abschluss als Lernende, die das Langzeitgymnasium gestartet und fortgeführt hatten (5% vs. 2%).

Autorin: Marlen Walthert / 23. November 2023

Kontakt

Marlen Walthert

E-Mail: Marlen.Walthert@lustat.ch

Telefon: 041 228 48 46

Analysen

Bildung im Kanton Luzern 2023/24

Zahl der Lernenden auf obligatorischen Schulstufen nimmt weiter zu

Der Webartikel zum Thema Bildung im Kanton Luzern behandelt die obligatorischen Schulstufen – von der Kindergarten- oder Basisstufe bis zur Sekundarstufe I – sowie die nachobligatorische Ausbildung auf Sekundarstufe II. Analysiert werden unter anderem die Entwicklung der Zahl der Lernenden und der Lehrpersonen sowie die Verteilung der Lernenden auf die verschiedene Niveau- und Ausbildungstypen.

Statistik Panorama Luzern 2024

Bildung

Die Infografik gibt einen Überblick über den Fachbereich Bildung.

LUSTAT Jahrbuch 2024 - Fachbereiche

Bildung

Datenmaterial, Kommentare sowie weitere Informationen zur obligatorischen Schulstufe, zur Sekundarstufe II, zur tertiären Bildung, zum Bildungsstand und zur Qualifikation der Bevölkerung sowie zu Bildungsszenarien.